Erzähl-Café | aus Kiel | 12-2008

 
An jedem 3. Sonntag im Monat öffnet in der Immanuelgemeinde der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) in Kiel das Erzähl-Café. Mit diesem Angebot wendet sich die Gemeinde an „alle Menschen, die am Wochenende nicht gern allein sind und Freude an Gesprächen, Singen und Spielrunden haben“. Im Folgenden stellt Ruth Müller das Angebot näher vor – wie es dazu kam, wie es vorbereitet und gestaltet wird, welche Ziele es verfolgt, welche Entwicklung es genommen hat und welche Erfahrungen die Verantwortlichen mit dem Erzähl-Café gemacht haben.



Wie kam es dazu?

Erzähl-Café KielVorüberlegungen: Ein lebendiges Gemeindeleben und die Unterhaltung und Pflege unseres Gemeindeanwesens können doch nicht unsere einzigen Aufgaben als christliche Gemeinde sein. Können wir nicht auch etwas für andere tun? Trotz mancher Anstrengungen in der Öffentlichkeitsarbeit ist unsere Gemeinde im Stadtteil weitgehend unbekannt. Was könnten wir tun, unsere Gemeinde den Menschen, die in unserem Umfeld wohnen, bekannt zu machen? An vielen Tagen ist in unserem Gemeindezentrum nichts los. Wie schade! Dabei haben wir ein herrliches Grundstück und schöne Gemeinderäume. Alleinlebende Menschen sind am Sonntag besonders einsam. Unter der Woche gibt es viele Angebote, aber sonntags findet fast nichts statt, was über das Alleinsein und die Ödnis des Sonntagnachmittags hinweghilft. Könnten wir da nicht etwas anbieten?


Eine Idee wird Wirklichkeit

Der Bericht in der „Koralle“ über das Erzähl-Café der Wuppertaler Gemeinde, Anfang 2003, war dann der letzte Anstoß. Mit einem Team von fünf Leuten, drei Frauen und zwei Männern, fingen wir an zu planen. Anfang Januar 2004 wurden im Stadtteil in Läden, Praxen und öffentlichen Einrichtungen Plakate aufgehängt und großzügig Werbekarten in die Briefkästen verteilt.
Am 18. Januar 2004 fand das erste Erzähl-Café statt. Es kamen zwölf Personen. Immerhin! Wir waren froh, dass überhaupt jemand den Weg zu uns gefunden hatte. Bis zum nächsten Erzähl-Café im Februar hatte es sich schon herumgesprochen und die meisten Plätze (rund 20) waren besetzt. So konnten die „Kieler Nachrichten“, die wir eingeladen hatten, einen anschaulichen Artikel mit Foto veröffentlichen. Es zeigte sich aber auch, dass es nicht genügte, die Tische schön zu decken, leckeren, selbstgebackenen Kuchen anzubieten und sich mit den Gästen zu unterhalten. Ganz offensichtlich erhofften sich unsere Gäste noch etwas anderes.

So hat sich im Laufe der Jahre folgender Ablauf entwickelt: Von 15 Uhr bis gegen 16 Uhr ist gemütliches Kaffeetrinken. Dann folgt ein kleines Programm (Dauer zwischen 15 und 30 Minuten), wo wir in unterhaltsamer, lockerer Form Interessantes, Heiteres oder auch Nachdenkliches zu unterschiedlichen Themen vortragen. Manchmal gibt es kleine Musikbeiträge, gelegentlich auch ein Thema mit Bildern. Wenn möglich, beziehen wir unsere Gäste auch aktiv mit ein, zum Beispiel beim Vorlesen. Sehr beliebt ist das Singen. Etwa ab 16.30 Uhr ist dann Zeit zum Spielen, wofür wir eine große Auswahl an Spielen bereitstellen. Um 17.30 Uhr schließen wir mit einem Schlusslied.


Vorbereitung des Nachmittags
Das Erzähl-Café findet am dritten Sonntag im Monat statt. Zwei Wochen vor dem Termin liegt im Gemeindevorraum eine Liste aus, in die sich einträgt, wer einen Kuchen backt und/oder zum Helfen da sein wird. Jeweils zwischen sieben und zehn Helferinnen und Helfer werden gebraucht, um Kaffee zu kochen, die Gäste zu begrüßen, sie zu bedienen, sich an den Tischen mit den Gästen zu unterhalten und mit ihnen zu spielen. Am Samstag vor dem Erzähl-Café-Sonntag richten wir den Gemeinderaum mit kleinen Tischgruppen, vielen Blumen und hübschen Servietten einladend her. Die hausgebackenen Kuchen werden von Gemeindegliedern gespendet. Für freiwillige Beiträge zur Deckung der Kosten gibt es eine Kaffeekasse.


Werbung und Information

Um unser Sonntags-Café bekannt zu machen, hängen in den Läden, Praxen und öffentlichen Einrichtungen (AWO, Rotes Kreuz, Bücherei usw.) unseres Stadtteils Plakate und liegen Terminkarten aus. Beim Verteilen trafen wir, entgegen unserer Befürchtungen, auf viel Entgegenkommen. „Wenn es von der Kirche ist, gerne“, wurde gesagt, und: „Das ist prima, das ihr so etwas macht. Viel Erfolg.“ In der Woche vor dem Erzähl-Café erscheint in den „Kieler Nachrichten“ und dem „Kieler Express“ (einem kostenlosen Werbeblatt) sowie im Stadtteilblättchen ein Hinweis. Immer vor dem ersten Termin Anfang des neuen Jahres verteilen wir neue Plakate und Terminkarten und werden dann immer sehr interessiert gefragt, wie es läuft.


Wie hat sich das Erzähl-Café entwickelt?
Inzwischen ist das Erzähl-Café in unserem Stadtteil, zum Teil auch darüber hinaus, eine bekannte Veranstaltung. Im Schnitt kommen etwa 18 bis 25 Gäste, meist ältere Menschen, naturgemäß mehr Frauen als Männer. Ein großer Teil sind nun schon Stammgäste, die das Erzähl-Café fest im Terminplan haben. Bis auf einzelne gehören sie nicht zu unserer Gemeinde, sondern meist zu einer der landeskirchlichen Gemeinden in unserer Nachbarschaft. Durch guten Kontakt zu ihnen und ihren Pastoren wird das Erzähl-Café nicht als „Konkurrenzunternehmen“ angesehen.
Es kommen aber auch immer wieder neue Gäste, die die Plakate gesehen oder den Hinweis in der Zeitung gelesen haben und gerne wissen möchten, was sich dahinter verbirgt. Auf diese Weise haben viele Menschen etwas über unsere Gemeinde erfahren.


Was bedeutet das Erzähl-Café für unsere Gemeinde und welche Erfahrungen haben wir gemacht?
Durch das Erzähl-Café sind wir im Stadtteil als eine evangelische Gemeinde bekannt geworden. Die, die zu uns kommen, haben sich inzwischen davon überzeugt, dass wir keine Sekte sind, eine Sorge, die ganz offensichtlich fast bei allen besteht, die zum ersten Mal kommen. Einige Gemeindeglieder, die bisher noch kein rechtes Betätigungsfeld in der Gemeinde hatten, machen beim Erzähl-Café mit und haben Freude an dieser Arbeit. Diejenigen, die beim Erzähl-Café mitarbeiten, haben sich besser kennen gelernt und fühlen sich untereinander und auch der Gemeinde mehr verbunden. Wir haben es besser gelernt, unbefangener auf Fremde zuzugehen und uns auch auf ungewöhnliche oder schwierige Menschen einzulassen. Zu unseren Gemeindefesten, speziell zu unserem Sommerfest, kommen eine ganze Reihe Gäste des Erzähl-Café, und ein halbes Dutzend nehmen regelmäßig am Seniorenkreis teil, – das ist ca. ein Drittel des Kreises und ein Gewinn für alle, die dabei sind. Auch zu besonderen Gottesdiensten finden sich einige unserer Gäste ein. Wir haben die Erfahrung gemacht, wie wichtig es ist, dass man sich offen und ohne Vorurteile auf die Menschen einlässt und auch an ihrem Ergehen Anteil nimmt. Es braucht eine längere Zeit des Kennenlernens, bis sich Zutrauen und Vertrauen entwickeln können.


Probleme
Es hat sich aber auch gezeigt, dass einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit schwierigen Gästen nicht gut zurechtkommen. Sie fühlen sich frustriert. Sie wünschen sich mehr Dank und Anerkennung von den Gästen. Nicht alle Gemeindeglieder identifizieren sich mit dem Erzähl-Café. Sie fragen sich, was die Gemeinde davon für einen Gewinn hat.


Was uns wichtig ist
Wir wollen im Erzähl-Café nicht missionieren, sondern wir hoffen, dass, indem wir uns unvoreingenommen und mit Herzlichkeit den Menschen zuwenden, etwas von Gottes Liebe zu uns Menschen durchscheint. Jeder der kommt, soll spüren, dass er willkommen und wertgeschätzt ist.